Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Gesamtschule Iserlohn versuchen, dass Schicksal der

Familie Wertheim/Gompertz


zu recherchieren. Julius Wertheim und seine Frau Julie, geb. Jungbluth, führten bis 1939 in der Wermingser Straße Nr. 2 ein Schuhgeschäft. Heute befindet sich in den Geschäftsräumen eine Filiale der Fa. Mannesmann-Vodafone.

Folgende Quellen standen uns bei der Recherche über die Familie Wertheim-Gompertz zur Verfügung:

1. Auszug aus: Marcus Kiel, Stadt Iserlohn (Hrsg.), Ein temporäres Denkmal zur Erinnerung an jüdisches Leben in Iserlohn, Katalog zur Ausstellung 20. August bis 17. September 2000, Alter Rathausplatz Iserlohn. Die Artikel über die jüdischen Geschäfte in der Wermingser Str. wurden verfasst von Götz Bettge, Archivar der Stadt Iserlohn.

Julius Wertheim (geb. 1867 in Deisel, Krs Hof Geismar) war zunächst als Commis (kaufmännischer Angestellter) tätig. Wann er das Schuhgeschäft übernahm, ist nicht mehr festzustellen. Julius Wertheim war mit der aus Recklinghausen gebürtigen Julie Jungbluth verheiratet, sie hatten eine Tochter (Alice, geb. 1899 in Iserlohn). Nach dem Tod von Julius Wertheim übernahmen die Witwe und der Schwiegersohn, Ernst Gompertz, das Geschäft.
Im Oktober 1941 musste die Familie Wertheim/Gompertz in das Haus Kluse 18 umziehen. Am 28. Juli 1942 sind sie "unbekannt verzogen" - so die amtliche Eintragung. Im Juli 1950 wurde die gesamte Familie amtlicherseits für tot erklärt: "Zeitpunkt des Todes ist der 8. Mai 1945, 24 Uhr." Nach dem Adressbuch von 1939 wurde das Schuhwarengeschäft später als Filiale des Schuhauses Kurt Schmidt fortgeführt.

2. Weitere Informationen über das Schicksal der Familie Wertheim/Gompertz finden sich in: Die jüdische Gemeinde Iserlohn, Beiträge zur Geschichte Iserlohns, Schriftenreihe, Haus der Heimat, Band 13, Hrsg. Stadt Iserlohn, Schriftleitung: Arno Herzig, Konrad Rosenthal, Iserlohn 1970, Seite 82.

Mit welcher Grausamkeit fast alle jüdischen Familien in den Tod getrieben, welche Unmenschlichkeit an ihnen begangen wurden, welche Anstrengungen sie unternahmen, um dem Mord durch die NS, an den keiner glauben wollte, zu entgehen, zeigt deutlich das Schicksal der Familie Wertheim-Gompertz, das hier als Beispiel für das Schicksal aller anderen jüdischen Familien in Iserlohn kurz dargestellt werden soll. Nach dem Tod von Julius Wertheim (1930) hatte die Witwe Julie, geb. Jungblut, das Geschäft Wermingser Straße 2 übernommen. Sie führte es zusammen mit ihrem Schwiegersohn Ernst Gompertz, der 1927 die einzige Tochter des Ehepaares Wertheim, Alice, geheiratet hatte. Noch vor der Reichskristallnacht verkaufte die Familie das Geschäft (19.8.1938), behielt aber weiterhin das Haus. Aufgrund der Sühneleistung der Juden vom 21.11.1938 mußte Frau J. Wertheim eine Abgabe von 18 200 Mark, ihr Schwiegersohn eine Abgabe von 5800 Mark an das Finanzamt leisten. Im Zuge der ,,Arisierung" wurden sie ferner gezwungen, das Haus Wermingser Straße 2 zu verkaufen, blieben jedoch in der 1. Etage des Hauses als Mieter wohnen. Nach langem Zögern versuchte die Familie, mit Hilfe von Verwandten, die in den USA lebten, nach Kuba auszuwandern. Die letzten finanziellen Mittel, die der Familie geblieben waren, wurden dafür aufgebracht. (Das Nett-Jahreseinkommen der Familie betrug 1941: 1423 Mark). Die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums Münster forderte eine Abgabe für das Umzugsgut in Höhe von 1200 Mark und verbot die Ausfuhr eines Kühlschranks, einer Waschmaschine und einer Nähmaschine (25.5.1939). Trotz intensiver Bemühungen gelang es bis zum November 1941 nicht mehr, die nötigen Mittel für eine Auswanderung nach Kuba aufzubringen. Seit dem Januar 1942 wurden alle Auswanderungsversuche von den deutschen Behörden gestoppt. Die Wannsee-Konferenz (20.1.1942) hatte die Endlösung, d.h. den Mord an allen Juden, beschlossen. Im Oktober 1941 wurde die Familie Wertheim-Gompertz in das Haus Kluse 18 eingewiesen, wo die vier Personen (die Tochter Lotte des Ehepaares Gompertz war am 23.8.1929 geboren) bis zu ihrer Deportation in das KZ (28.6.1942) ein Zimmer in der ersten Etage bewohnten. Julie Wertheim, ihre Tochter Alice, ihr Schwiegersohn Ernst Gompertz und die Enkeltochter wurden im KZ ermordet.

Hier nun die weiteren Ergebnisse unserer Recherche, die z.T. von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft "Schule ohne Rassismus" und z.T. durch Facharbeiten in Geschicktskursen des Jahrgang 12 ermittelt wurden:

Laut der Liste der ermordeten Juden aus Iserlohn (ebenfalls in: Die jüdische Gemeinde Iserlohn, Beiträge zur Geschichte Iserlohns) wurden alle Familienmitglieder nach Theresienstadt deportiert. Am Morgen des 28.8.1942 wurden sie zusammen mit vielen jüdischen Einwohnern Iserlohns zunächst vom Haus Kluse 18 zum Bahnhof in Iserlohn (vorbei am Poth, dort, wo heute das Denkmal steht) gebracht. Von dort ging es nach Dortmund (Steinwache). In Güterwagons (Transport Nr. X/I) wurde die Familie dann mit ca. 1000 anderen, meist jüdischen Gefangenen aus der Umgebung, nach Theresienstadt transportiert.

Im Oktober 2004 besuchte eine Gruppe Schüler/innen der Jahrgangsstufe 13 der Gesamtschule Iserlohn unter der Leitung Frau Schäfer im Rahmen einer Stufenfahrt die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Theresienstadt. Auf einer Gedenktafel für jüdische Kinder, die in Theresienstadt inhaftiert waren, fanden die SchülerInnen tatsächlich den Namen "Lotte Gompertz". Im Jahr 2002 brachte die Gedenkstätte des KZ Theresienstadt ein Gedenkbuch mit den Namen aller KZ-Insassen heraus. Dieses Gedenkbuch (ca. 1200 Seiten) ist per Fernleihe von einigen Universitätsbibliotheken (z.B. RU Bochum) zu entleihen. In Auszügen (Namen der Deportierten von Dortmund-Steinwache nach Theresienstadt) liegt es als Kopie der Gesamtschule (Mediothek) vor.

In diesem Gedenkbuch sind Ernst, Alice und Lotte Gompertz auf Seite 538 und Julie Wertheim auf Seite 551 zu finden. In diesem Gedenkbuch ist festgehalten, dass die Familie Gompertz (Ernst, Alice und Tochter Lotte) am 29. Januar 1943 von Theresienstadt nach Auschwitz transportiert worden ist (Transport Ct). Frau Julie Wertheim ist ca. 1 1/2 Jahre später, am 9. Oktober 1944 mit Transport-Nr. Ep nach Auschwitz transportiert worden. Leider wissen wir nicht, ob sie in Auschwitz noch registriert worden sind oder ob sie gleich von der Verladerampe aus in die Gaskammern gehen mussten, was zu vermuten ist.

Seit kurzem ist die Opferdatei von Yad Vashem in Israel online verfügbar. In dieser Datei sind ebenfalls Mitglieder der Familie Wertheim-Gompertz in Gedenkblättern zu finden.
Gedenkblatt von Lotte Gompertz Gedenkblatt von Lotte Gompertz Gedenkblatt von Alice Gompertz Gedenkblatt von Alice Gompertz Gedenkblatt von Ernst Gompertz

Diese Gedenkblätter wurden, wie auf ihnen erkennbar, z.T. von Herrn Alex Salm aus Wegberg im Jahr 1996 ausgefüllt. Wir versuchen derzeit, mit Herrn Salm Kontakt aufzunehmen. Leider ist im Adressbuch der Stadt Wegberg keine Einträge auf den Namen Alex Salm zu finden. Auch ein Brief an die auf dem Gedenkblatt aufgeführte Adresse blieb bisher unbeantwortet. Wir vermuten, dass Herr Alex Salm nicht mehr lebt.

Auf dem Gedenkblatt ist weiter zu lesen, dass Herr Salm selber im Lager/Ghetto Riga war. Wir wissen nicht, welche Verbindung Herr Salm zu Theresienstadt hatte oder ob Herr Salm in Auschwitz Lotte Gompertz und ihre Familie getroffen hat oder die Familie noch aus Iserlohner Zeiten kannte. Auf diesen Gedenkblättern taucht zum ersten Mal der Name Lotte "Emma" Gompertz auf. In Stammbäumen der Familie Gompertz bzw. Wertheim wird der Name "Emma" häufiger genannt.

Im Schuljahr 2004/2005 versuchten wir herauszufinden, auf welcher Schule Lotte Gompertz bis zu ihrer Deportation war. Kinder aus der vorderen Wermingser Straße wurden zu dieser Zeit (1935) in der Grundschule Bleichstraße (damals Grund- und Hauptschule bzw. Volksschule) eingeschult. Im Archiv der Grundschule Bleichstraße waren sogar die Klassenunterlagen für das Schuljahr 1935/36 noch vorhanden, leider fanden wir keine Namen der jüdischen Kinder in den Unterlagen, die zu der Zeit in Iserlohn wohnten.
Unsere nächste Vermutung war, dass Lotte Gompertz in der Schule an der Brüderstraße (bis 1945 hieß sie "Horst-Wessel-Schule") eingeschult wurde und dort in den ersten Jahren unterrichtet wurde. Ein Blick in das Archiv der Hauptschule Brüderstraße brachte leider auch keine Gewissheit. Das älteste dort vorhandene Klassenbuch ist vom Schuljahr 1938/1939. Wir vermuteten aber, dass Lotte im Jahre 1936 eingeschult worden ist.

Das bestätigte auch Richard Westerhoff, ehemaliger Schüler der Horst-Wessel-Schule und späterer Lehrer an der Hauptschule Brüderstraße. Richard Westerhoff erzählte uns, dass es in der Einschulungsklasse 1936 ein jüdisches Mädchen mit dem Namen Lotte Gompertz gegeben hat. Er wusste weiter zu berichten, dass dieses Mädchen aber im 3. Schuljahr, als ein Umzug in ein Schulgebäude an der Mendener Straße anstand, nicht mehr in der Klasse war. Also gingen wir davon aus, dass Lotte Gompertz 1936 in die damalige Horst-Wessel-Schule eingeschult worden ist, aber ab 1938 (das Jahr der Reichspogromnacht) diese Schule nicht mehr besuchen durfte.

Dann geschah das, was wir (die AG "Schule ohne Rassismus") nicht mehr zu hoffen wagten: es tauchte ein Klassenfoto vom Einschulungsjahrgang 1936 von der Schule an der Brüderstraße auf. Herr Reinhold Bösch las zufällig den Artikel über die Ausstellung "Der Alltag jüdischer Kinder während des Holocaust" im Iserlohner Kreisanzeiger. Er rief Herrn Klusmann, Schulleiter am Gymnasium An der Stenner an, der wiederum die Telefonnummer von Herrn Bösch an die AG weiterreichte. Ein Besuch bei Herrn Bösch in der Teichstraße ergab dann Gewissheit: es existiert noch ein Klassenfoto, auf dem Lotte Gompertz zu sehen ist. Auch Richard Westerhoff bestätigte, dass das vierte Mädchen von links in der unteren Reihe auf dem Foto tatsächlich Lotte Gompertz ist. Nun wissen wir, wie Lotte Gompertz im Alter von 6 Jahren ausgesehen hat.

Am 19. Januar 2006 legte der Kölner Künstler Gunter Demnig vier Stolpersteine für die Familie Wertheim/Gompertz vor dem Haus an der Wermingser Straße Nr. 2.


Wir würden uns natürlich freuen, wenn uns jemand etwas über Lotte Gompertz oder über ihre Eltern sagen kann, zumal die Familie noch bis Oktober 1941 im Haus Wermingser Straße 2 gewohnt hat.

Vielleicht können Sie uns helfen:
Wenn ja, dann rufen Sie uns bitte unter der Tel-Nr. 02371/36625 an oder schreiben Sie uns eine Email!!!


Presseartikel in der IKZ am 14. Januar 2006.